Das Problem ist, dass trotz ihrer erkennbaren Unfähigkeit, einfachste Zusammenhänge zu begreifen und daraus einen vernünftigen Schluss zu ziehen, Jessica berechtigt ist, und in gewisser Weise auch die Pflicht dazu hat, im demokratischen Prozess im Wege von Wahlen wichtige Entscheidungen über die Zukunft ihrer Heimat zu treffen. Entscheidungen, die in vielen Fällen derart kompliziert sind, dass Jessica nicht einmal dann eine Chance hätte, eine leidlich wissensbasierte Entscheidung zu treffen, wenn sie auch nur annähernd verstünde, worum es geht. Wäre Jessica ein beklagenswerter Einzelfall oder auch nur Teil einer bedauernswerten, aber für den demokratischen Prozess letztlich wenig relevanten Minderheit, so würde das zwar auf ein Problem des Bildungssystems hindeuten, nicht aber auf eines der Demokratie insgesamt. Leider gibt es viele Indizien, die zeigen, dass es verdammt viele Jessicas und Kevins gibt. Sie verkörpern also nicht ein kleine Minderheit, sondern gehören zu einer relevanten, wenn nicht gar ausschlaggebenden Gruppe von Wählern. Der Verdacht liegt nahe, dass Typen wie Jessica und Kevin in der westlichen Demokratie des 21. Jahrhunderts der Souverän sind.
Mit der Frage im Titel zum ersten Kapitel trifft Christian Ortner den Nagel auf den Kopf: „Warum braucht man einen Führerschein zum Autofahren, aber nicht, um wählen zu dürfen?“ Als deklarierter „Linker“ war mir am Anfang doch sehr unwohl, als ich dieses Buch in die Hand bekommen habe. Doch nach einigen Seiten wurde mir bewusst, dass der Autor leider richtig liegt mit seinen provokanten Aussagen.
Was will man mit einem Souverän, der nicht das geringste Interesse am politische Diskurs hat aber lautschreiend immer mehr vom Staat verlangt? Was will man von volljährigen Wählern, die nicht einmal die einfachsten Prinzipien der Politik verstehen aber durch ihre Stimmabgabe bei Wahlen entscheiden wohin es geht? Ortner schildert eindrucksvoll das Dilemma politischer Parteien, welche sich von Jessica und Kevin erpressen lassen und der ökonomischen Rationalität – auf Kosten kommender Generationen und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit.
Dieses Buch ist eines der Besten, die ich zum Thema Demokratie, Gesellschaft und Verblödung der Massen je gelesen habe. Wäre es nicht so wahr und erschreckend – könnte man richtig lachen. Dass Ortner keine realistischen Lösungen für das Dilemma der Diktatur der dummen Menschen liefert tut nichts zur Sache, das muss er als deklarierter Neoliberaler auch nicht.
Die Kernaussage aus diesem Buch für mich lautet: „Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Verblödung der Mehrheit ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreitet, sonst kippt sie in die Herrschaft der Verblödeten.“ Für die Masse der WählerInnen klingt das hart, für den Autor führt an dieser unbequemen Wahrheit aber kein Weg vorbei.